Spektrum_HS_Esslingen - page 68

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spektrum 46/2018
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INTERN
Auf Rat Hoppe-Seylers verwendete er daraufhin Leukozyten,
also wei?e Blutk?rperchen. Quelle dafür war frischer Eiter, den
er aus dem benutzten Verbandsmaterial der nahegelegenen
Universit?tsklinik erhielt. Er entwickelte viele verschiedene Pro-
tokolle, um Zellen daraus zu reinigen und in ihre Bestandteile
zu zerlegen.
Das Ganze war extrem mühsam. In einem Brief an seinen On-
kel berichtet er:
?… es gibt nichts misslicheres, als die Trennung
eiwei?artiger K?rper. Ich begreife wohl, dass die Definitionen der-
selben so schwankend und streitig sind; und das ist eben der Fluch
der amorphen K?rper, dass man keine Gew?hr der Reinheit seines
Pr?parates hat. Deshalb scheuen sich auch die echten Chemiker so
sehr davor.“
Von den heutigen M?glichkeiten im Bereich Bioana-
lytik h?tte unser Forscher nur tr?umen k?nnen [1].
Dabei fiel ihm auf, dass er neben einer Reihe von Proteinen und
Lipiden, die mit seinen Methoden nicht weiter zu reinigen waren,
aus alkalischer L?sung durch F?llung mit verdünnter Salzs?ure
Niederschl?ge einer Substanz erhielt. Sie war weder in Wasser
noch Essigs?ure, Salzs?ure oder Kochsalzl?sung l?sbar und
konnte seiner Ansicht nach kein Protein sein.
Weitere Untersuchungen zeigten, dass sie nur aus den Zellkernen
selbst bestand. Er konzentrierte sich nun darauf, Zellkerne in gr?-
?eren Mengen und m?glichst hoher Reinheit darzustellen. Der
Schlüssel dazu war am Ende der Aufschluss des Zellmaterials mit
Hilfe von Pepsin, einem Verdauungsenzym. Damit erhielt er Zell-
kerne ohne Reste von Zytoplasma. Sie bestanden aus einem bis
dahin unbekannten Material, dem er den Namen
Nuclein
gab. In
weiteren Analysen fand er heraus, dass es keinen Schwefel, aber
relativ viel Phosphor enthielt.
Er hatte die im Zellkern enthaltene Nukleins?ure entdeckt. Ihre
biochemische Funktion war damit natürlich noch nicht klar. Un-
ser Forscher ahnte jedoch schon, dass sie wohl bei der Befruch-
tung eine wichtige Rolle spielen k?nnte. Zum Verst?ndnis waren
viele Folgeschritte erforderlich, ganz wesentlich 1953 die Ermitt-
lung ihrer 3D Struktur durch Watson und Crick.
Heute wird diese Tr?gerin der Erbinformation oft nur mit dem
Kürzel DNA (deoxyribonucleic acid) bezeichnet. Ihre Molekül-
struktur, die Doppelhelix, haben vermutlich die meisten Erdbe-
wohner schon einmal als Abbildung gesehen. Wegen der zent-
ralen Bedeutung für das Leben ist der Begriff ?DNA“ so bekannt
und popul?r geworden, dass er in Zusammenh?nge gebracht
wird, die mit Biochemie eher wenig zu tun haben. Beispielhaf-
te Wortsch?pfungen dieser Art sind:
?DNA des Unternehmens“,
?DNA der Krise“, ?DNA der 龙8国际赌场_龙8国际_官网“
oder
?DNA des Autos“.
Eine Recherche mit der Suchphrase
?DNA der xxxx“
im Internet
bringt da durchaus Erstaunliches zu Tage.
Im Herbst 1869 waren die Arbeiten in Tübingen dann im Wesent-
lichen abgeschlossen. Unser Forscher wollte seine experimentel-
len Kenntnisse weiter vertiefen und entschied sich, für ein Jahr
nach Leipzig in die Arbeitsgruppe von Carl Ludwig zu wechseln.
Im Dezember 1869 schrieb er noch ein Manuskript zu den Er-
gebnissen aus Tübingen, und reichte es zur Publikation in den
von Hoppe-Seyler herausgegebenen
?Medicinisch-Chemischen
Untersuchungen“
ein. Der Herausgeber traute den Daten aber
nicht so recht und wiederholte die Experimente erst einmal im
eigenen Labor (ein interessanter Ansatz zur Qualit?tssicherung
in wissenschaftlichen Journalen). Unseren Forscher vertr?ste-
te er mit einem Brief, in dem er den langsamen Fortschritt der
Nachmessungen unter anderem damit erkl?rt, er werde davon
? … durch allerhand unselige Decanats- und Jahresberichtsarbeiten
abgehalten“
[1]. Das jedenfalls scheint sich seit bald 150 Jahren
nicht ge?ndert zu haben. Und so erschien die Publikation dann
erst 1871, über ein Jahr nach der Einreichung.
Im gleichen Jahr kehrte unser Forscher nach Basel zurück und
versuchte dort, seine Arbeit an der Universit?t fortzusetzen. Er
habilitierte sich mit einer Arbeit zum Thema
?Der physiologische
Prozess der Atmung“
und wurde Privatdozent. 1872 erfolgte dann
Abb. 4: Handskizze ?DNA“ von F. Crick 1953 [4]
1...,58,59,60,61,62,63,64,65,66,67 69,70,71,72,73,74,75,76,77,78,...84
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